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Medizingeschichte
Wie der Starstich aus der Mode kam: Geschichte der Katarakt OP

Wie der Starstich aus der Mode kam: Geschichte der Katarakt OP

Im höheren Alter neigt die Augenlinse dazu, sich zu trüben. Das war auch schon vor Tausenden Jahren so und die Menschen suchten seit jeher ein Gegenmittel. Sie fanden heraus, wie sich der Graue Star heilen ließ: indem ein Operateur die getrübte Linse ins Auge drückt – das nennt sich Starstich. Danach fiel deutlich mehr Licht ins Auge, doch mehr als ein schlechter Kompromiss war das nicht.

 

Definition: Was ist der Graue Star?

Der Graue Star, auch Katarakt genannt, entsteht, indem sich die Augenlinse allmählich trübt. Das geschieht schleichend und völlig schmerzlos. Die betroffenen Menschen nehmen irgendwann einen Nebelschleier wahr, die Konturen verschwimmen. Später trübt sich die Welt vollkommen ein.

Von Rakesh Ahuja, MD - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=966501

Erste Versuche der Kataraktbehandlung in der Antike

Die frühesten Aufzeichnungen über Kataraktbehandlungen stammen aus Indien und Ägypten vor mehr als 2000 Jahren. Der Starstich war die damals übliche Technik. Sie bestand darin, eine stumpfe Nadel oder einen Dorn zu verwenden, um die trübe Linse in den Glaskörper zu drücken, sodass das Licht wieder auf die Netzhaut gelangen konnte. Diese Methode löste das Problem der Sehbehinderung teilweise, aber sie war riskant und führte häufig zu Komplikationen wie Infektionen und völliger Erblindung.

Die Linse verblieb nun einmal im Augapfel, und ohne Anbindung zum Körper faulte sie vor sich hin. Manchmal fand sie auch den Weg zurück zur Pupille und verklebte sich dort, was die neugewonnene Sicht wieder zunichtemachte.

Abgesehen davon handelte es sich um keine echte Heilung. Ohne Linse können wir Menschen nur noch äußerst verschwommen sehen, da das Licht nicht mehr auf die Netzhaut fokussiert wird. Nur eine sehr starke Brille, die es damals noch nicht gab, könnte das ausgleichen. Oder eine neue Augenlinse: In der Antike absolut undenkbar.

Den Star stechen im antiken Rom und Griechenland

Im antiken Griechenland und Rom wurde die Starstich-Methode weiterentwickelt. Der griechische Arzt Galen (129–199 n. Chr.) beschrieb die Katarakt als eine Flüssigkeit vor der Linse und prägte den Begriff „hypochyma“ für die Linse. Im Römischen Reich führte der Arzt Celsus (1. Jh. n. Chr.) solche Operationen durch.

Katarakt OP im Mittelalter: Stagnation in Europa

Während des Mittelalters stagnierte die Entwicklung der Augenheilkunde in Europa weitgehend. Arabische Mediziner jedoch, wie der berühmte Augenarzt Ammar ibn Ali al-Mawsili (um 1010), verfeinerten die Techniken und entwickelten präzisere Instrumente für die Augenheilkunde. Ammar war einer der ersten, der die “Aspiration” beschrieb, bei der er mit einer hohlen Nadel Flüssigkeit aus der Linse saugte.

Der Medicus

Der berühmte Roman „Der Medicus“ von Noah Gordon beschreibt, wie ein mittelalterlicher, reisender Barbier bei seinen Patienten den Star sticht. Sein Glück, dass er stets weiterzieht, denn so hinterließ er glückliche „Geheilte“, die ihn bei späteren Komplikationen nicht mehr erschlagen konnten.

In der Renaissance begann in Europa ein wissenschaftlicher Aufschwung. Andreas Vesalius und andere Mediziner legten die Grundlagen der modernen Anatomie, was später auch die Augenchirurgie beeinflusste.

18. und 19. Jahrhundert: Anfänge der modernen Kataraktchirurgie

Der französische Chirurg Jacques Daviel setzte einen Meilenstein der modernen Kataraktchirurgie 1747 führte er die erste Extraktion der trüben Linse durch. Diese neue Technik bestand darin, die Linse zu entfernen, anstatt sie wie beim Starstich nur zu verschieben. Daviels Methode war bedeutend sicherer und effektiver und gilt als Beginn der modernen Kataraktchirurgie.

Kataraktextraktion als handwerkliche Meisterstück

Die große Schwierigkeit bestand darin, durch einen möglichst winzigen Schlitz die Linse zu zerstückeln und ihre Einzelteile zu entnehmen: ein Meisterwerk der Handwerkskunst, sozusagen, das ich in meinem historischen Romane und Hörbuch HERZ und HÄNDE beschreibe (Part 2: Das Auge).

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Augenheilkunde rasant weiter. Besonders die Einführung der Antisepsis durch Joseph Lister und die Anwendung von Narkosen erleichterten die Operationen enorm und verringerten das Risiko von Infektionen und Schmerzen. In dieser Zeit wurde auch die Kapsel der Linse nach Möglichkeit erhalten, was die Rehabilitationszeit verkürzte.

20. Jahrhundert: Revolution durch künstliche Linsen

Die entscheidende Revolution in der Kataraktchirurgie begann Mitte des 20. Jahrhunderts. Sir Harold Ridley, ein britischer Augenarzt, führte 1949 die erste Implantation einer künstlichen Linse durch. Ridley hatte erkannt, dass Piloten im Zweiten Weltkrieg, die Plexiglasfragmente aus Flugzeugkanzeln ins Auge bekommen hatten, keine Abstoßungsreaktion zeigten. Dies brachte ihn auf die Idee, künstliche Linsen aus einem ähnlichen Material zu entwickeln.

Dies war der Beginn der Verwendung von Intraokularlinsen (IOL), die heute bei fast jeder Kataraktoperation Standard sind.

Mit der Erfindung des Phakoemulsifikationsverfahrens durch Charles Kelman in den 1960er Jahren wurde die Operation noch sicherer und weniger invasiv. Bei dieser Technik wird die trübe Linse mittels Ultraschall zerkleinert und dann abgesaugt, was die Wundheilung beschleunigt und das Risiko von Komplikationen weiter reduzierte.

Gegenwart: Hochmoderne Techniken und Laserchirurgie

Heute ist die Kataraktoperation einer der häufigsten und sichersten chirurgischen Eingriffe weltweit. Die modernen Techniken der Phakoemulsifikation und die Verbesserung der Intraokularlinsen ermöglichen es den meisten Patienten, nach dem Eingriff wieder gut zu sehen – oft ohne Brille. In den letzten Jahrzehnten wurde die Entwicklung von Lasern für die Kataraktoperation weiter vorangetrieben. Die sogenannte Femtosekundenlaser-assistierte Kataraktchirurgie (FLACS) ermöglicht präzisere Schnitte und eine exaktere Entfernung der Linse, was zu einer noch schnelleren Heilung und besseren Ergebnissen führt. Die Zeiten des Starstichs wünscht sich hierzulande bestimmt niemand mehr zurück. Doch gibt es noch heute Regionen in der Welt, wo Operateure trübe Linsen in den Augapfel drücken – und die Patienten darüber glücklich sind, weil sie nichts anderes kennen.