Erstes Buch für meine Recherche: “Der Horror der frühen Medizin”
Das Buch mit dem Autsch-Effekt
“Der Horror der frühen Medizin” von Lindsey Fitzharris (Rezension)
Dieses Buch habe ich mir als erstes bestellt, sogar noch bevor das erste Wort meines Manuskripts geschrieben war. Das lag nicht am Bildzeitungs-Effekt des Covers und auch nicht an der reißerischen Überschrift. Es war der Inhalt, der mich interessierte, und der hat tatsächlich mit diesem knalligen Titelblatt wenig gemein.
Lindsey Fitzharris zeichnet das Leben Joseph Listers nach, des englischen Chirurgen, der als “Vater der antiseptischen Medizin” gilt. Geboren wurde die medizinische Koryphäe im Jahr 1827, wir haben es also mit einem Helden des 19. Jahrhunderts zu tun.
Mein Blick ins Buch: Rezension
Am Anfang jedoch berichtet die Autorin von einem ganz anderen Chirurgen, der einen ähnlichen Namen hat: Robert Liston. Zwischen dem Wirken dieser Männer, möge der zeitliche Abstand auch noch so kurz sein, liegt eine ganze Ära. Liston ist 1794 geboren, ein großer, kräftiger Mann, der bei seine Operationen schnell und brutal vorging. Man möge es ihm verzeihen: Damals gab es noch keine effektive Möglichkeit, Patienten zu betäuben, aus diesem Grund war Schnelligkeit vonnöten, um die Qualen so kurz wie möglich zu halten.
Liston wird nachgesagt, der einzige Chirurg zu sein, dem in einer einzigen Operation eine 300-prozentige Todesrate gelang: Er tötete nicht nur den armen Patienten, sondern auch seinen Assistenten und einen Zuschauer. Alles aus Versehen.
Im Jahr 1846 gelang es ihm, ein Bein innerhalb von 25 Sekunden zu amputieren – ein echter Höllenrekord. Die Schattenseite dieser Geschwindigkeit bekam ein Mann zu spüren, der zur Oberschenkelamputation auf den OP-Tisch kam und hinterher nicht nur ein Bein, sondern auch einen Hoden weniger hatte.
Mit Lister wurde alles anders ...
Erst die Entdeckung und allmähliche Einführung der Äthernarkose in die medizinische Behandlung brachte den geplagten Patienten Erlösung. Endlich konnten sich die Chirurgen am betäubten Patienten mehr Zeit lassen, vorsichtig handeln und Gemetzel vermeiden.
Immer mehr Operateure trugen statt der bisherigen schwarzen Kleidung weiße Kittel, weil sie das viele Blut auf der Kleidung nicht mehr verbergen mussten: Es floss und spritzte nicht mehr in Strömen. Diese Wandlung vollzog sich allerdings nur sehr langsam, denn die alte Ärzte-Garde zeigte sich gegenüber neuen Trends nicht gerade aufgeschlossen.
Richtig haarig wurde es, als Joseph Lister auf den Plan trat. Inspiriert von Louis Pasteur brachte er die Lehre der Keime in die Medizin ein und desinfizierte Wunden mit Phenol, damals noch Karbonsäure genannt. Lister traf zunächst auf breite Gegenwehr, denn die Ärzte konnten es nicht auf sich sitzen lassen, dass im Grunde sie selbst Schuld waren am hygienischen Disaster der Krankenhäuser.
Krankenhäuser als Stätten des Todes
Vor den Zeiten der Desinfektion galten städtische Hospitäler vielorts als Stätten des Todes, weil sich dort rasend schnell Infektionen verbreiteten und ganze Patientenkohorten elendig dahinrafften. Das scheint aus heutiger Sicht kaum verwunderlich, weil Ärzte sich zwischen der Behandlung zweier Patienten nicht einmal kurz die Hände wuschen!
Aus purer Not kam sogar der Gedanke auf, Krankenhäuser nach einigen Jahren immer mal wieder abzureißen und neu aufzubauen, um dem unerklärlichen Übel zu entkommen.
So passierte es durchaus, dass ein Chirurg erst eine Leiche sezierte und hinterher direkt einem Baby auf die Welt half – ohne zwischenzeitliche Säuberung oder gar Desinfektion: Ein Grund, warum das Kindbettfieber so schlimm um sich griff! Frauen, denen “nur” eine Hebamme zur Geburt zur Hilfe eilte, konnten sich, ohne es zu wissen, in damaligen Zeiten glücklich schätzen: In diesem Fall fiel die Infektionsgefahr deutlich geringer aus.
Listers Erfolg, meine Inspiration
Joseph Listers Lehre setzte sich nach vielen mühseligen Jahren des Werbens schlussendlich durch. Der Chirurg musste auf seinem Weg zahlreiche Hindernisse überwinden und Demütigungen einstecken, doch er blieb standhaft. Die puren Zahlen sprachen für sich: Aufgrund seiner sterilen Wundbehandlung verstarben signifikant weniger Patienten und seine Hospitäler wurden zu Orten der Heilung statt des Todes.
Gegen Ende seines Lebens erhielt Lister zahlreiche Ehrungen, er wurde sogar in den erblichen Stand eines Barons erhoben. Das hat er sich meiner Meinung nach absolut verdient! Er glaubte an etwas, das man nicht sehen, aber erfahren kann – und seine Erfolge gaben ihm Recht.
Was hat das mit meinem Roman zu tun?
Dieses Buch brachte mir viele Inspirationen für meinen historischen Roman. Die Geschichte spielt genau in dieser Umbruchzeit der Medizin, nämlich in den 1860er Jahren. Mein Hauptcharakter, der junge Doktor Adrien Laurent, ist ein Verfechter der neuen Lehren, und nicht nur das bringt ihm Schwierigkeiten ein. Auch seine spezielle, alles andere als einfach gestrickte Art, lässt ihn anecken, wo er geht und steht.
Zudem muss er bei seiner Arbeit oft auf die einfachsten Hilfsmittel verzichten, und dann bleibt ihm nichts mehr anderes übrig, als zu “mittelalterlichen Methoden” zurückzukehren. Mitten im Krieg in Afrika gibt es nun einmal keine hohen Standards, dort gilt es schlichtweg, irgendwie zu überleben.
Ich denke, das ist schon einmal ein interessantes Spannungsfeld, dem noch weitere Kontroversen folgen werden. Ich setze meine Recherchen fort und bin gespannt, was sich noch ergibt.
Bild: Engin_Akyurt auf Pixabay
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