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Medizingeschichte
Bilsenkraut als Medizin und Droge – riskanter Drahtseilakt

Bilsenkraut als Medizin und Droge – riskanter Drahtseilakt

Bilsenkraut in der Geschichte

Schwarzes Bilsenkraut wächst manchmal ganz unschuldig am Wegesrand, ohne dass jemand es erkennt: Es ist über ganz Europa bis nach Nord- und Westasien sowie in Nordafrika verbreitet und gilt heute als gefährliche Giftpflanze.  Die Inhaltsstoffe sind tatsächlich toxisch, aber auch stark psychoaktiv und sollen in manchen Fällen heilsam sein. Bilsenkraut als Medizin zu verwenden ist jedoch immer ein riskanter Drahtseilakt, den in der Geschichte mancher Heiler wagte.

In meiner historischen Romanserie „HERZ und HÄNDE“ erzähle ich von der Anwendung des Bilsenkrauts, allerdings auf eher unlautere Art. Der Protagonist, ein rebellischer französischer Chirurg im 19. Jahrhundert, gerät in Algerien zwischen die Fronten des kolonialen Widerstands — und muss sich einiges einfallen lassen, um einigermaßen heile davonzukommen.  

Die Dosierung macht’s: Bilsenkraut kann tödlich oder heilsam sein

Je nach Dosierung kann Bilsenkraut also tödlich oder heilsam sein – und noch etwas dazwischen: berauschend. Darum wurde das Gewächs in der Geschichte sowohl gefürchtet als auch geschätzt, bis es in der modernen Zeit (fast) in Vergessenheit geriet. Vielleicht ganz gut so. Aber auch ein bisschen schade.

Ist Bilsenkraut giftig? Das Schwarze Bilsenkraut, das besonders gut in sogenannten Schuttunkrautgesellschaften auf nährstoff- und stickstoffreichen Böden gedeiht, heißt auf Latein Hyoscyamus niger. Außer ihm existieren weitere 10 Bilsenkräuter, Hyoscyamus, die allesamt giftig sind. Die unterirdischen Pflanzenteile und die Samen enthalten besonders starke Konzentrationen an toxischem (S)-Hyoscyamin und Scopolamin.

Bilsenkraut zwischen Schmetterlingen

Verwendung von Bilsenkraut in der Antike

Priester und Heiler im alten Ägypten verwendeten das Bilsenkraut für rituelle oder medizinische Zwecke – oft auch beides zugleich. In Griechenland und Rom nutzten Heilkundige wie Hippokrates und Dioskurides das berauschende Kraut, um Schmerzen zu lindern, Husten zu stillen und den Körper zu entkrampfen. Dioskurides beschrieb im 1. Jahrhundert nach Christus die Pflanze detailliert in seinem Werk „De materia medica“ und schrieb ihr heilsame Wirkung bei Ohrenschmerzen und Schlaflosigkeit zu. Ob der eine oder andere Patient nach dem Konsum für immer einschlief, ist nicht bekannt.

Bilsenkraut als Medizin in der Antike

Bilsenkraut im Mittalter: Hexenwerk und Volksheilmittel

Im Mittelalter kursierten zahlreiche natürliche Volksheilmittel, Hebammen und Kräuterfrauen kannten sich besonders gut damit aus. Doch der Aberglaube saß in diesen Zeiten tief, darum war das Bilsenkraut in vielen Kreisen als Hexenwerk verschrien, das angeblich okkulten Praktiken diente. Hexensalben, Hexenkraut – auch Tollkirsche und Stechapfel gehörten zu den bösen Pflanzen, die Trancezustände herbeiführen und den Hexen bei ihren Ritualen dienlich sein konnten. Einfache Leute behandelten damit jedoch hauptsächlich Schmerzen, vor allem an den Zähnen, und nahmen geringe Dosen zur Beruhigung ein.

Kräuterfrau mit Bilsenkraut

Anwendung von Bilsenkraut in Renaissance und Neuzeit

Die Renaissance war eine Zeit der Erneuerung, der Mensch besann zu zunehmend zurück auf die (antike) Wissenschaft. Auch das Interesse an Heilpflanzen und ihrer Wirkung keimte wieder auf. Paracelsus, der wohl berühmteste Arzt des 16. Jahrhunderts, experimentierte mit Bilsenkraut, um neue Arzneimittel zu entwickeln. Er betonte, dass die Dosierung entscheidend sei und dass eine sorgfältige Anwendung viele Leiden lindern könne. In der frühen Neuzeit erlangte das Bilsenkraut als Bestandteil von Schmerzmitteln und Beruhigungsmitteln Popularität. Zahlreiche Rezepturen entstanden, um mithilfe der Pflanze Nervosität und Angst zu lindern.

Forscher untersuchen Bilsenkraut

Einzug des Bilsenkrauts in die moderne Medizin

Im 19. Jahrhundert untersuchten Forscher das medizinische Potenzial des Bilsenkrauts intensiver. Sie identifizierten die Hauptwirkstoffe, Hyoscyamin und Scopolamin, die krampflösende und beruhigende Eigenschaften besitzen. Diese Alkaloide sind chemisch verwandt mit denen der Tollkirsche (Atropa belladonna) und wurden seit jeher zur Herstellung von Medikamenten genutzt. Bilsenkraut-Präparate fanden Verwendung in der Behandlung von Asthma, Magenkrämpfen und sogar als Beruhigungsmittel während Operationen.

Heutzutage ist die Verwendung von Bilsenkraut in der Medizin aufgrund seiner Toxizität stark zurückgegangen. Die modernen synthetischen Alternativen sind sicherer und besser dosierbar. Dennoch verwenden Homöopathen und Anhänger der traditionellen chinesischen Medizin das Bilsenkraut noch in sehr geringen Dosen.

In der westlichen “Schulmedizin” ist hingegen der Hype vorbei. Das Kraut dient hier nur noch  als Beispiel dafür, wie gefährlich und dennoch nützlich bestimmte Heilpflanzen sein können.

Fazit: Bilsenkraut in der Medizin

Das Bilsenkraut gedeiht auf dem schmalen Grat zwischen Heilmittel und Gift. Obwohl die Pflanze in der Vergangenheit eine wichtige Rolle in der Medizin spielte, ist ihre Anwendung heute aufgrund ihrer Toxizität stark eingeschränkt. Doch dient das Bilsenkraut gut und gern als Symbol für die ständige Suche nach sicheren und wirksamen Heilmitteln – und für die Notwendigkeit, in manchen sauren Apfel zu beißen.